republica_2019

re:publica: Die Erinnerung an eine gesellschaftliche Verantwortung

Die re:publica 2019 war anders, fühlte sich ungewohnt an, gewandelt und ist sich in großen Teilen treu geblieben. Es ist aber an der Zeit, einen neuen Blick auf „unsere“ re:publica zu bekommen.

Die re:publica ist inzwischen mehr als für über 100 Euro im Hof der Station stehen. Es ist ein Nostalgiepunkt, den ich ebenfalls teile und ich werde vermutlich nie von Session zu Session hetzen.

In diesem Jahr war durch die Terminüberschneidung die Frage im Raum: Wo fährt man hin? Ich konnte vorher nicht sagen, wieso ich mich genau für die #rp19 entschieden habe, wo ich doch ein Marketer bin. Inzwischen habe ich darauf meine Antwort gefunden, als mich am gestriegen Tage fragte, wieso ich zur re:publica fahren würde. Meine spontane Antwort war: Die re:publica ist meine jährliche Erinnerung, dass ich eine gesellschaftliche Verantwortung trage.

Was im ersten Moment völlig hochtrabend klingt, ist keine Frage von Reichweite, Impressionen und Buzz. Es ist eine Sache des Selbstverständnisses und der eigenen Verantwortung, die man übernimmt oder eben nicht. Das ist eine Entscheidung, die jeder für sich individuell treffen muss. Dennoch müssen wir, also jene, die sich über die Infrastruktur des Netzes Gedanken machen und sich damit auskennen, dieses Wissen teilen und Mitmenschen in allen Lebenslagen dazu beraten, unterrichten oder hinweisen uns dessen bewusst werden. Dabei ist es völlig gleichgültig, ob man nun Netzgemeinde, Internet-Aktivisten oder digitale Akteur auf das Etikett schreibt.

Ich kann mich dieser Verantwortung, anderen die Gestaltung zu überlassen nicht weiter entziehen. Das bedeutet nicht, dass man deswegen gleich großer Aktivist wird. Es drückt aus, dass die Menschen, denen ich mein Wissen weitergebe, ich sie auf den richtigen Weg zu führen: in Schulungen, Seminaren oder Workshops.
Ich kommentierte selbst, dass früher mehr Flausch war. Letztlich musste ich einfach feststellen, die Welt um uns verändert sich und somit verändert sich die re:publica (No shit, Sherlock!).

Wer die Augen öffnet, wird feststellen: als Merhfachtäter der re:publica ist es auch an der Zeit, sich seiner möglichen Verantwortung bewusst zu werden. Es reicht eben nicht mehr aus, im Hof rumzustehen und darauf zu warten, dass Sascha seine Brandrede dazu hält, was alles nicht funktioniert hat. Ich trage nun einmal eine Verantwortung, denn ich verstehe vieles von diesen Internetdingen, von den Popkulturen wie Gaming, Streaming, Instagram, Youtubern oder dem Realitätsschock, den Sascha so schön skizzerte (im Übrigen empfehle ich jedem, diesen Vortrag zu schauen).

Nach diesem Grundverständnis ist es eben meine Pflicht, das was ich in den letzten 23 Jahren genommen habe, in ebenso großen Tranchen zurückzugeben. Weil es eben darum geht, mehr zu geben, als man beansprucht hat. Es ist dieser Schlag von Menschen, die sich am Wochenende auf Barcamps treffen, um kostenlos wissen auszutauschen. Einige, die weitergehen und sich ehrenamtlich in Gruppierungen, Vereinen und Verbänden organisiert haben. Es geht dabei doch darum eine Sache mitzugestalten und eine innerer Überzeugung weiterzugeben.

Wenn ich ein aktuelles Beispiel zur Veranschaulichung aufgreifen darf: Ich muss mich nicht über jedes Plakat, jeden Werbespot oder aus dem Zusammenhang gerissene Zitat echauffieren. Natürlich tut dies angeblich niemand im persönlichen Gespräch, aber schaut euch doch bitte eure Newsfeeds und eigene Postings an. Ich will mich davon gar nicht freisprechen.
Es ist eine Reflexreaktion auf die eigene Persönlichkeit. Spätestens nach dem 83. Je suis, ist doch klar, es geht schon lange nicht mehr um die Sache. Es geht um die Fütterung der eigenen Aufmerksamkeitsökonomie. Es ist keine Tragödie, wenn man mal die betroffene Zielgruppe eines Witzes geworden ist. Daher ist es vielleicht mal ganz gut, den „OMG ich kaufe nie wieder XY“-Beitrag vor dem Absenden zu löschen.

Bundespräsident Steinmeier hat in seiner Eröffnungsrede es treffend formuliert, als er sinngemäß sagte: Demokratie heißt auch einander auszuhalten.

Ich denke, dieses Aushalten würde dem Online-Diskurs gut tun. Es ist für mich der Punkt, an dem ich zukünftig arbeiten will, ohne es irgendwo zu manifestieren (außer nun hier). Ich möchte es in meinem Umfeld sehen, dass es häufiger zu kleinen und großen Debatten kommt, ohne im Messenger nebenbei schreiben zu müssen, dass man dies aber nicht persönlich meint. Das wir wieder mit zwei Meinungen aus einem Gespräch gehen können und das nicht zwingend jeder Kommentar einer Antwort bedarf. Wir tun dies im echten Leben nicht und ein einer Zeit, wo ich feststelle „Menschen gehen offline, um Inhalte für online zu erstellen“, sollten wir das Beste aus beiden Welten nutzen.

Wir sind gerade erst am Anfang. Es gibt noch so viel gesellschaftlich zu gestalten, da muss man sich einfach nur die aktuelle Entwicklung des urbanen Wohnraums anschauen. Die Themen sind so bunt wie die 500 Sessions auf der re:publica auf ihren 27 Bühnen, wovon ich sicherlich zu wenig gesehen habe.

Jene, die noch an damals denken: Ihr dürft jetzt nicht müde werden. Ihr dürft das Feld nicht jenen überlassen, die sich nicht um „das Netz“ scheren. Dafür haben wir alle zu viel Zeit investiert, zu viele Nächte uns in Foren rumgetrieben und Wissen über so ziemlich alle Lebenslagen ausgetauscht. Es wäre falsch, diesen guten Platz einfach zu lassen.

Danke re:publica, wir sehen uns 2020.

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