Ein kurzes Vorwort zu dem folgenden Artikel. Ich habe den Artikel im Jahr 2008 geschrieben. Ich war damals bei einem eCommerce-Unternehmen (eTailer) in der Entwicklungsabteilung tätig, die ich dann auch leitete. Ich habe den Artikel am Wochenende zufällig auf einem USB-Stick wieder gefunden. Die Leser, die via Twitter ihr Interesse daran bekundet haben, bekommen nun also ihren Happen. Ich habe den Text nicht weiter angefasst. Er war ursprünglich in zwei Teile geteilt, davon habe ich abgesehen. Gerichtet ist er im Kern an jeden leitenden Angestellten oder jene, die es mal werden wollen. Man weiß ja nie, was noch kommt 😉
Entwickler sind wie Künstler
„Entwickler sind wie Künstler“, eine Aussage aus der „Amazon Architektur“ (Anm. ich habe den Link verbaselt), die schwerer wiegt, als man zuerst annehmen würde. Ich meine damit nicht, wie die Medien die Arbeit einer Entwicklungsabteilung in großen Konzernen darstellt. Es geht viel mehr um die Tatsache, dass bereits zwischen Entwicklern und Programmierern ein Unterschied liegt. Gern steckt man sie unter einen Hut, da es durchaus überschneidende Felder gibt.
Es ist mehr als nur eine Wortdefinition. Als Entwickler bin ich ein Künstler, ein Erbauer, ein Erschaffer, ich spiele mit Visionen, Träumen, verrückten Ideen, bin am Tüfteln und realisiere neue Wege, um zum Ziel zu kommen.
Zwischen Visionen und Umsetzung (der Programmierung) besteht aber eine Kluft. Der Programmierer an sich wird eine Idee oder Anweisung zur Umsetzung einer Vorstellung vor gefrühstückt bekommen und diese nach den klar definierten Zielen und Arbeitsvorgaben abarbeiten. Er gilt als Spezialist seiner Zunft, ihm hängt das Klischee von dunklen licht undurchlässigen Kellerräumen nach.
Ein Entwickler – entwickelt. Entwickler sind in der Regel die Art von Programmierern, den man nachsagt, einen an der Waffel zu haben. Sie sind verrückt, gelten als Geeks, haben „komische“ Ideen und tragen ganz konkret zu dem Unternehmensbild bei. Aber Sie benötigen eine Unabdingbarkeit, die in Folgen von Marktwachstum, Wirtschaft und Globalisierung immer seltener wird – geistige Freiheit. Geistige Freiheit entwickelt man allerdings nicht unter Zeitdruck, Terminvorgaben und technischem Zwang. Und das macht m.E. schon einen großen Unterschied zwischen Erfolg und einfach „umgesetzt“ aus.
Ein weiterer Faktor für die „artgerechte“ Haltung von Entwicklern ist Spaß. Wer Spaß an und in seinem Beruf hat, fühlt sich meist berufen. Die innere Einstellung ist eine andere, die Kreativität wird gefördert und die besten Ideen kommen einem ohnehin meist bei einer anderen Tätigkeit. Jeder wird es kennen, dass er beim Essen, Sport oder sonstigen Aktivitäten einen Geistesblitz erfahren hat zu seinem derzeitigen Projekt.
Aus Spaß bildet sich auch gern eine Euphorie – und in Rausch der Endorphine sammeln sich in kürzester Zeit so viele Ideen, dass es nötig wird, einen Projektplan zu schreiben, um all die Dinge schriftlich festzuhalten.
Neben einer Freiheit und Freude spielt natürlich das Geld auch eine Rolle. In vielen Unternehmen wird zwar eine Entwicklung gehalten, aber meist unter Wert – auch dies schränkt das Handeln ein. Schaut man auf die ganz Großen, sieht man gute Beispiele, wie man eine sprudelnde Entwicklung mit Erfolg verknüpfen kann. „Die haben’s geschafft“ – die resignierende Aussage ist soweit richtig, die Frage ist natürlich auch immer „wie“.
In diesem Sinne, liebe Geschäftsführer, Personalleiter und Führungspersonen würde ich mir die Frage im Stillen einmal stellen, ob meine Entwicklung ein Kreativpool ist, welche grandiose Werke vollbringen können und dürfen. Oder malen Sie auf einem DinA5-Blatt mit zwei Filzstiften? Sie finden das monoton? Nun, sorgen Sie dafür, dass ihre Künstler auch eine vollständige Farbpalette als Werkzeug haben!
Es gibt allerdings eine Sache, die ich an dieser Stelle nicht vergessen darf. Es gibt noch eine Sache, die für Künstler auch durch Geld nicht zu ersetzen ist: Anerkennung.
Anerkennung für Ideen, Umsetzung und Resultat – wer die „stille“ Arbeit seiner Entwickler nicht anerkennt, wird nicht lange Freude daran haben. Wenn ich einem Springbrunnen im Garten das Wasser abdrehe, bleibt es nicht aus, dass er nicht mehr sprudelt.
In vielen Unternehmen werden Künstler als Mechaniker abgestellt. „Hier geht was nicht, mach das mal heile“ – natürlich übernehmen sie teilweise auch „einfache“ arbeiten, aber wer seinem Entwickler-(Team) keine ausreichende Anerkennung spendet, wird sich auf lange Sicht auf der Suche im Arbeitsmarktes wiederfinden. In dem Fall wird das Unternehmen allerdings suchen – nämliche neue Mitarbeiter.
Der Kreis, der sich hier bildet, ist objektiv betrachtet recht simpel. Wer für seine Entwicklung Management nach Zahlen betreibt, wird sich früher oder später selbst das Genick brechen. Denn Entwicklung ist ein kreativer und künstlerischer Prozess, wer dies nicht erkennt, wird dies über eine hohe Fluktuation aufs Brot geschmiert bekommen. Und eine hohe Rate an Personalwechseln in der Künstlerwerkstatt wird dem Unternehmen insgesamt wesentlich teurer zu stehen kommen, als kurzfristige Investitionen ins Selbige. Denn mit dem erfahrenen Programmierer/Entwickler geht nicht nur das berufsspezifische Wissen, das Unternehmen verliert an internem Wissen. Ein neuer Entwickler im Team wird nie (sofort) einen vorherigen Kollegen ersetzen können, denn der ausgeschiedene Mitarbeiter kennt die Eigenschaften des Unternehmens, die Macken der Mitarbeiter und deren Arbeitsweise mit der Software. Er kennt die Produktpalette und hat sich in die Philosophie des Unternehmens „eingelebt“. Diesen Weg hat der Neue noch vor sich.
Erfahrene Entwickler werden früher oder später das Unternehmen verlassen, wenn die Arbeit nicht ausreichend gewürdigt wird. Sie wechseln in Unternehmen, wo die Arbeitsbedingungen besser sind, neue Herausforderungen warten, sie sich kreativ austoben können und sollen. Entweder wird das Unternehmen tief in die Tasche greifen müssen oder wird einen Berufsanfänger einstellen, eben für kleines Geld. Die Qualität wird sinken – und somit auch das Wachstum des Unternehmens.
Wer als Arbeitgeber sein Geld lieber spart, seine Angestellten nicht auf Schulungen schickt, das Sie das Unternehmen „sicher“ sowieso verlassen werden, dreht sich selbst einen Strick ohne es zu merken. Wenn eine Autowerkstatt seinen Mechanikern nur Wagenheber und Radkreuz zur Hand gibt, wird vermutlich nie in den Genuss einer Hebebühne kommen und die Prozessbeschleunigung und Qualität in Anspruch nehmen. Aber auch eine schlechte Atmosphäre wirkt wie Gift. Spätestens wenn Ihre Mitarbeiter anfangen heimliche Lösungen zu finden, aus Angst vor dem Erfolg, Neid der Kollegen und es als Wichtigtuerei hingestellt wird, haben sie ein ernsthaftes Problem, was man nicht auf die leichte Schulter nehmen sollten.
Wie man sieht, sind Entwickler und Künstler eine empfindliche Art von Mitarbeitern. Es gilt ihnen und ihrer Arbeit gerecht zu werden, nur dann werden sie als auch die Künstler Spaß an der Arbeit haben, Ideen entwickeln und realisieren, die das Unternehmen nach vorne bringen. Andernfalls werden sie eine Brotpapier-Pausch-Ecke haben, die vollkommen resigniert ihren Job machen. Aber nicht mehr und nicht weniger – was für sie wichtiger ist, müssen sie letztlich selbst entscheiden, auch wenn es nur eine vernünftige Antwort geben kann.
Kai, ich sach einfach nur Hammer … geil geschrieben … und Du triffst den Nagel voll auf den Kopf!
eine ode an meine ex-arbeitgeber 😉