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Shitstorms: Ein Mythos am Ende

Der gute Shitstorm oder die Empörungswelle gibt es nun einige Jahre. Anfangs waren Shitstorms noch eine Ausnahmesituation, die einige Parameter zwischen Unternehmenskommunikation und Konsumenten auf den Kopf stellte. Der erste richtig große Knall kam vermutlich mit Nestle & Greenpeace. Heute wissen wir, Shitstorms sind zwar blöd aber keineswegs so dramatisch wie zeitweise angenommen.

Ich kann mich gut daran erinnern, wie 2012 eine Reihe von Shitstorms in kürzester Zeit die Runde machten. McDonalds, Vodafone, Galileo und H&M durchliefen seinerzeit eine Fäkalwindhose. Ich analysierte etwas vor mich hin und gab die These zur Diskussion, dass es sich um gekaufte Shitstorms handeln könnte. Der gezielte Angriff auf Facebook Pages wurde damals über Foren organisiert. Der Gedanke war gar nicht schlecht, wenn auch schon von mir selbst widerlegt.

Shitstorms sind nicht mehr das, was sie mal waren

Fast 2 Jahre später ist der Umgang mit diesen Empörungswellen einfacher, man hat Erfahrungen gesammelt und weiß: Sie sind nicht schön, aber auch kein Drama. Ein zeitnahes Beispiel: Über das Wochenende wurde bekannt, dass McDonalds nun auch in Deutschland Hühnerfleisch zulassen wird, welches von Hühnern stammt, die mit genmanipuliertem Futter gefüttert werden. Samstag gab es die ersten Schlagzeilen dazu, Sonntag poppte das Thema richtig auf. Am gestrigen Montag machte das Thema dann die Runde bis RTL am Abend zum großen Paukenschlag gegen einen Burger King-Franchiser ausholte. Wie bereits vor 2 Wochen bei Zalando konstatiert man hier ebenfalls schlechte Arbeitsbedingungen als Vorwurf. Man wird dem Franchisnehmer vor mehrfach Hygieneverstöße begangen zu haben. Burger King äußerte sich heute dann dazu.

Dies ist im Prinzip klassische PR. Aktion (RTL) und eine Stellungnahme (Burger King) als Reaktion. Nur um meinen Medienfokus kurz darzustellen: Was macht eigentlich McDonalds? Interessiert das heute noch irgendjemanden? Ja tut es, es werden immer noch Postings auf die Facebook Page von McDonald’s Deutschland geschrieben. Immerhin hat McDonald’s es bisher nicht geschafft, sich zu dem Thema zu äußern. Vielleicht möchte man dies auch nicht und sitzt das Thema aus. Deswegen werden allerdings keine Filialen ernsthaft in Gefährdung geraten, auch nicht bei Burger King. Soweit ich weiß, verkauft Jack Wolfskin trotz böser Abmahnung im Jahre 2009 nach wie vor noch Kleidung.

Shitstorms haben ein zu kleines Spielfeld

Der Fehler der Empörungswelle liegt in ihrer Struktur. Shitstorms sind falsch aufgebaut, um einen ernsthaften Schaden zu hinterlassen. Was ist denn ein Shitstorm? Wenn ihr einen Blick in einschlägige Nachrichtenblätter werft, dann ist ein Shitstorm häufig: Empörungswelle auf Facebook Page. Die Reichweite einer solchen Welle ist eher verhalten, denn die Spielfläche ist eben nicht größer als eine Facebook Page. Welche Tragweite hat denn eine Facebook Page, wenn man sie ins Verhältnis mit anderen Medien (TV?) setzt, um Reichweite zu erzielen. Denn Reichweite benötigt man, umso mehr Reichweite, desto mehr Aufmerksamkeit. Es kommt erst richtig Dynamik ins Spiel, wenn die Presse auf das Thema aufmerksam wird. In dem Fall (Burger King /McDonalds) ist zwar Schwung reingekommen, aber das Spielfeld wird nicht größer.

Zu viele Strukturfehler

Ein Shitstorm leidet unter dem Problem, dass er zu viele Strukturfehler im Netzwerk auf zu vielen Ebenen hat. Beleuchten wir die Seite aus Sicht des Angriffs auf ein Unternehmen, dann ist wie oben beschrieben, dass Spielfeld hierfür einfach zu klein. Die Kritik am Unternehmen ist in der Regel auch zu irrelevant. Es reicht eben nicht aus, sich darüber aufzuregen, dass ein Burger 10 Cent teurer wird und 100.000 das ebenfalls so finden, um dann dennoch in einer Bratstube einkehren. Die Nutzfläche eines Shitstorms ist mit einer „isolierten“ Facebook Page einfach nicht ausreichend.

Wenn wir die Perspektive wechseln, dann haben wir aus Unternehmenssicht die Angreifenden. Die Zahl der Angreifer kann sich zwar drastisch erhöhen, jedoch liegt deren Problem nicht in der Anzahl, sondern in ihrer Struktur. Ein Shitstorm besteht häufig aus einem sternenförmigen Netzwerk, welches sich an einer zentralen Stelle trifft. Die Netzwerkknoten selbst sind aber nicht miteinander verbunden und genau hier liegt „das Problem“. Es macht eben wenig Sinn mit 50.000 Kieselsteinchen an eine Fensterscheibe zu werfen. Vielleicht stumpft die Scheibe dabei etwas ab, aber sie wird deswegen nicht kaputt gehen. Wenn ich allerdings mein Netzwerk bündele, und somit die einzelnen Punkte untereinander verbunden sind, habe ich eine weitaus größere Schlagkraft. Münze ich dies auf unser Kieselstein-Beispiel um, ist die Wahrscheinlichkeit höher, die Scheibe zu zerstören, wenn ich einen handgroßen Pflasterstein in Richtung Fenster werfe. Ich bin mir bewusst, dass dieses Beispiel nicht ideal ist, aber es verdeutlich sehr gut die Wucht, die zwischen einem sternförmigen Netzwerk und einem vollvermaschten Netzwerk (alle Knotenpunkte sind miteinander verbunden) steckt.

Ein vollvermaschter Knotenpunkt in diesem Netzwerk sind dann eben Meinungsführer, Medien, Presse, Influencer – welchen Namen man ihnen gibt, spielt keine Rolle – die Frage ist, wie groß ist der Stein, der in Richtung meines Ladenfensters fliegt (Unternehmenskommunikation, die meist auf Facebook stattfindet) und welchen Schaden könnte dieser anrichten. Es ist nicht viel aus dem Physikunterricht hängen geblieben, aber Masse mal Geschwindigkeit ist hier sicherlich eine Floskel, die man im Hinterkopf behalten darf. Aktuell drängt sich das Gefühl auf, dass die Online-Petitionen zum organisierten Shitstorm 2.0 missbraucht werden. Online-Petitionen scheinen zwar gebündelter zu sein als ein klassischer Shitstorm. Sie sind allerdings genauso isoliert für sich selbst wie auf einer Facebook Page, nur eben auf dem Petitionsportal. Die Parallele, die sich hier auftut: Die Protagonisten sind untereinander nicht verbunden.

Abnutzung durch inflationäres Verhalten

Ein weiterer Punkt, wieso Unternehmen sensibilisierter an das Thema gehen dürfen – die Innovator und Influencer haben nach Jahren das Interesse am Thema verloren. Die Wirkung von Shitstorms nimmt kontinuierlich ab, da braucht es ein neues, wirksameres Empörungsinstrument. Immerhin ist dies auch eine Mentalitätsfrage und wir Deutschen empören uns eben einfach unheimlich gern. Die Halbwertszeit einer Empörungswelle ist einfach zu kurz oder interessieren sich große vollvermaschte Knotenpunkte (große Zeitung z.B.) noch für Genfutter und McDonalds? Also eine Berichterstattung die über „Es beschweren sich Leute auf der Facebook Page, Ben Utzername schreibt…“ hinausgeht?

Der Teil der Bevölkerung, der sich für Shitstorms interessiert, ist verschwindend gering. Was passiert also wenn dieser kleine Teil des Kuchen sich gelangweilt abwendet? Schlecht vernetzte Knotenpunkte (z.B. Kritiker) werden es ab einem Schwellenpunkt schwieriger haben, ihre Botschaft zu platzieren. Es ist eben auch für Trittbrettfahrer nicht mehr interessant aus Unterhaltungszwecken „gefällt mir“ bei irgendeinem Empörungsbeitrag zu klicken. Hier liegt ein weiterer Strukturfehler, denn auch Menschen, die sich nicht mit Kommunikation auseinandersetzen, winken immer mehr ab: Es verändert sich nichts und das Interesse des Empörenden ist eben, was es ist: Empörung. Und das große Problem bei Empörung ist, dass sie häufig eben nur situationsbedingt ist und diese Situation einfach im Sande versinkt oder kein ernsthaftes Problem ist. BP hat eine Ölbohrinsel im Golf von Mexiko „versenkt“ – Hand aufs Herz, was soll denn noch passieren?

Shitstorms sind häufig verdichtete Thekengespräche

Die virtuelle Entleerung über einen ungerechten Zustand haben häufig nur die Stärke von Thekengespräche. Der Gesprächsraum hat sich verlagert und verdichtet, was sicher kein Geheimnis mehr sein dürfte und die Leute wissen, dass sie evtl. mit solchen Beiträgen ein wenig Aufmerksamkeit bekommen. Wenn man dieses Verhalten in einen Gewohnheitskreislauf aufteilt, dann liegt genau hier der nächste (Struktur-)Fehler.

Erstens hat Empörende einen inneren Anreiz (Trigger), der ihn zu Zweitens zur Ausführung der Aktion führt. Die Aktion ist in diesem Fall das Schreiben an die Facebook Page. In der dritten Phase kommt die Belohnung, welche in diesem Fall von der falschen Seite kommt. Die Belohnung bei der Empörung ist häufig: Aufmerksamkeit Dritter. Es geht dann nicht mehr darum, ein mögliches Problem zu lösen. Genau hier schließt sich der Gewohnheitskreislauf nicht. Der vierte und abrundende Punkt ist das Investment in eine Sache, welches er nicht weiter verfolgt. Es geht ihm nur selten darum, das Produkt oder die Firma ernsthaft zu verbessern. Es ist nicht konstruktiv, es ist nicht fortführend und kann deswegen keine Wiederholung genießen, was gleichzeitig bedeutet: Ohne eine Wiederholung kann daraus keine Gewohnheit entstehen.

Nehmen wir zum Verständnis ein positives Beispiel, wie z.B. der Service der Bahn angenommen wird, auch wenn alle wissen: die Bahn ist nicht perfekt.

  • Trigger: Ich brauche Hilfe
  • Aktion: Ich schreibe einen Tweet an @DB_Bahn
  • Belohnung: Antwort zu meinem Problem
  • Investment: Ich fühle mich betreut, fahre häufiger mit der Bahn, der persönliche Wert des Unternehmens steigt.

Mit dem Anstieg des Loyalitätsfaktors wiederhole ich den Kreislauf und mit jeder weiteren Belohnung bin ich als Konsument bereit, weiter in die Sache (Kundenbeziehung) zu investieren. Es gibt jedoch auch Menschen, die genau diesen Gewohnheitskreislauf immer und immer wieder durchlaufen. Sie suchen im Internet als Belohnung die Aufmerksamkeit Dritter. Wir nennen sie Trolle.

Klare Regel im Unternehmen erforderlich

Wenn auch Shitstorms nicht so dramatisch sind, wie sie in der Presse gern dargestellt werden, müssen Kommunikationsabteilungen darauf vorbereitet sein. Es sollte geklärt werden, wer in einer solchen Situation etwas sagen darf, welche Maßnahmen einzuleiten sind und erste Verfahrenshandlungen sollten festgelegt sein.

Es muss auch eine Sensibilisierung für das Thema stattfinden. Die beste Sensibilisierung ist sicherlich einen solchen Ansturm durchschritten zu haben, aber dazu müsste man erst einmal eine Fäkalwindhose haben. Die wiederum wünsche ich keinem, einfach weil Shitstorms bekämpfen nur bedingt Spaß machen. Wer allerdings die Mechanismen dahinter erkennt, wird auch innerhalb der Hitzephase sehr gut navigieren, um die entscheidenden Knotenpunkte im Netzwerk abzukühlen.

Shitstorms sind in ihrer Form sicher keine angenehme Angelegenheit. Sie werfen vielleicht Fragen auf und Stellen das Vertrauen des Konsumenten auf die Probe, aber es gibt keinen Grund wegen ihnen das Lied des Abendlandes anzustimmen.

Bildnachweis: Shutterstock

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