Ich bin am Wochenende über die schlechte Informationsqualität von ZDF und ZEIT gestolpert. Die deutsche Zeitungs- und Zeitschriftenlandschaft verkommt zur Boulevardpresse. Denn auch die WELT oder der SPIEGEL fallen hin und wieder in dieses Raster. Jeder wird in seinem Umfeld einige Redaktionen haben, die er als enttäuschter Leser verlassen hat. Ich habe es satt und möchte mich mit diesem offenen Brief an die Verlagshäuser wenden.
Liebe Verantwortlichen, Vorstände, Redaktionsleiter und Journalisten,
nach dem Vorwort möchte ich Ihnen mitteilen, dass diese Titel nur stellvertretend stehen für Ihren Berufsstand. Die Diskussion zwischen Bloggern und Journalisten hat Ihnen nicht gut getan. Das Einzige, was ich aus Ihren Reihen von Zeit zu Zeit lese ist, dass Sie Symptome bekämpfen wollen währenddessen um das Problem einen großen Bogen gemacht wird.
Die Qualität der Inhalte hat rapide abgenommen. Ich will ja gar nicht bestreiten, dass Sie vielleicht Leserzuwachs dabei verbuchen konnten. Ich habe allerdings keine Lust mehr, mir Nachrichten durchzulesen, die von der Quelle der Quelle der Quelle der Quelle abgeschrieben worden sind. Womöglich kommen Übersetzungs- und Interpretationsfehler aus Unwissenheit des Redakteurs dazu. Dies passiert natürlich relativ selten, sodass es allein in diesem Jahr vermehrt zu Rechtschreibfehlern im Nachrichtenticker von N24 gekommen ist. Prominentestes Beispiel dürfte es wohl sein, dass Osama neuerdings Briefe empfängt. Oder aber Obama Bin Laden getötet worden ist, zumindest wenn ich FOX News Glauben schenke.
Es stören mich dabei mehrere Sachen. Man muss nicht immer der Erste sein, auch wenn weiß, dass es gute Zugriffszahlen generiert. Eine Überschrift ist jedoch für mich noch kein Artikel. Ein Tweet mit “gleich mehr auf XY” ist zwar nett, aber irgendwie habe ich den Eindruck: Ok, die schreiben da mal eben was runter.
Wieso kann man nicht objektive Nachrichten bringen?
Diese Frage stelle ich mir seit Langem, weil das Thema nicht ein Phänomen der letzten Wochen ist. Geld kann kein Argument sein, denn es werden auch in den Verlagshäusern sicherlich genug Geld für “Mist” rausgeworfen.
Ich würde es sehr interessant finden, wenn es einfach nur mal Nachrichten gibt. Einfach nur Nachrichten. Nicht mehr und nicht weniger. Es wird einfach nur “langweilig” darüber berichtet, was geschehen ist. Ich würde mich auch über Einschätzungen der Redakteure freuen, eben welche Vorteile oder Gefahren Sie sehen. Diese Einschätzungen müssten aber auch als solche gekennzeichnet werden. Dies hat vielleicht etwas von Bloggen, aber dann ist das eben so.
Ich mag diese Superlativen nicht mehr leben. Teilweise sind die Artikel so propagandistisch geschrieben, dass ich fast Angst habe, dass demnächst Flugzettel vom Himmel fallen. Wenn diese nicht mehr helfen, dann machen wir das Internet eben mit Klickstrecken voll. Das ist auch eine gute Strategie. Wenn Klickstrecken nicht funktionieren, machen wir irgendwas mit nackter Haut. Sex sells since 1387.
Es geht doch schon lange nicht mehr um Nachrichten. Es geht um Meinungen und eine Meinungshoheit. Es geht um Manipulation im eigenen Interesse. Diesen Vorwurf muss ich Ihnen machen. Was ist eigentlich gegen Qualität einzuwenden?
Meine Vision eines Nachrichtenportals, einer Zeitung oder Redaktion ist folgende:
- Die Artikel sind recherchiert
- Der %-Satz der abgeschriebenen Artikel aus US-Medien hält sich unter 10%
- Sie beschränken sich auf die Fakten
- Sie verzichten auf Superlativen
- Klickvieh-Strecken bleiben draußen
- Subjektives wird als solches gekennzeichnet
- Die Artikel haben eine Aussagekraft
Die Artikel sind recherchiert
Wie am Anfang erwähnt, kann ich mir die Artikel der US-Blogs selbst übersetzen. Das wird sehr problematisch, wenn man selbst nicht fit im Thema ist.
Der %-Satz der abgeschriebenen Artikel aus US-Medien hält sich unter 10%
Man kann nicht immer die Quelle sein, keine Frage – das verlange ich auch nicht. Aber 80-90% seines Contents mit Abschreiben zu generieren, ist auch nicht wirklich eine herausragende Leistung.
Sie beschränken sich auf die Fakten
Ich will keine Spekulationen lesen. Ich will mich nicht verarschen lassen, dass es im Irak Massenvernichtungswaffen gibt. Ich will nichts vom bösen Facebook lesen. Dass eine religiöse Figur im Parlament spricht, ist in Europa ok, woanders in der Welt aber nicht akzeptabel.
Sie verzichten auf Superlativen
Ein Nachrichtenblatt muss zwar auch um seine Leser buhlen, aber es ist kein Marketingschlachtfeld. Dies mögen Verlagshäuser nun anders sehen. Superlativen werden gern zur Meinungsmache eingesetzt. Leider.
Klickvieh-Strecken bleiben draußen
Print meets Web. Dank IVW-Verfahren und anderen Messungen zählen wir in PageImpressions. Da kann ich aus einer Galerie mit 20 Bildern 21 Klicks generieren, dass eine bessere User Experience möglich wäre, steht außer Frage.
Subjektives wird als solches gekennzeichnet
Es ist nichts gegen die Meinung eines Redakteurs einzuwenden. Es kann auch ein entscheidender Faktor zur Qualität des Beitrags sein. Es geht mir gegen den Strich, dass bestimmte Themen direkt in eine Schublade geschoben werden. Arbeitslose sind dumm, Facebook ist böse, der Nahe Osten ist böse und Asiaten werden die neue Angstnation werden. Ich stelle es so vor, dass nach den Fakten ein Abschnitt “Einschätzung” kommt. Ich hätte dann die Wahl, ob ich der Einschätzung des Redakteurs folge oder mir eine eigene Meinung bilde.
Die Artikel haben eine Aussagekraft
Es wird leider auch viel inhaltsloser Kram produziert. Online wie im Print. Man liest einen Artikel und fragt sich, was das jetzt genau soll. Eine typische Aussage ist “Jetzt bin ich genauso schlau wie vorher”, diese Momente werden viele von uns kennen.
Im Grunde hätte ich gern eine Zeitung, die sich auf die Fakten beschränkt. Gerade im Internet, denn ich habe keine Zeit. Deswegen kann ich mir Unwahrheiten und trügerisches Geschreibe nicht leisten, so sollte man meinen. Mich würde es brennend interessieren, was dabei rauskommt, wenn man mit einer Redaktion über 12 Monate einen solchen Versuch geht. Neben dem Werbungsmodell könnte man auch eine zahlungspflichtige Version machen, mit ein paar Features – nach dem Zahle was Du willst-Prinzip?
Ich für meinen Teil würde vermutlich glücklicher Leser werden und ich bin sicher nicht allein.
Ich denke das von dir beschriebene Dilemma folgt aus einer Art Identitätskrise der Verlage. Zuerst hieß es, dass Blogger doch viel unqualifizierter sind und mit ihrem unwissenden Gewäsch den echten Journalisten die Aufmerksamkeit und damit Erwerb/Arbeit wegnehmen. In der Realität hat sich die Qualitätsverteilung aber in vielen Fällen gedreht, zum einen weil mehr professionelle Journalisten bloggen, zum anderen weil die Verlagsangebote schlechter werden. Das wiederum liegt auch an der Identitätskrise.
Aus der Zeitungs-Welt sind sie es gewohnt ein Komplettprogramm vorzulegen, täglich oder wöchentlich. Im Internet versuchen sie auch das Komplettprogramm, aber halt stündlich. Dazu kommt das Vertrauen und Angebot: in der Zeitungs-Welt wird eine Zeitung gekauft und die Konkurrenz ist damit erstmal besiegt. Im Internet wird mit jeder Überschrift neu um den Kunden gekämpft. Je mehr Überschriften, desto mehr Möglichkeiten gegen die Konkurrenz zu gewinnen.
Zeit und Angebot führen also dazu, dass immer mehr produziert werden muss. Die Qualität bleibt dabei natürlich auf der Strecke. Es heißt zwar, dass das Internet Platz für alle und alles bietet, ich denke aber wie du, dass ein kleineres dafür aber spezialisierteres Angebot sinnvoller wäre. 2-3 Angebote, die einem die Agenturmeldungen hübsch aufbereiten reichen vollkommen aus. Darauf aufbauend ist dann genug Platz für Angebote, die sich tiefer mit der Materie beschäftigen. Das Problem ist, dass sich ein solches System nicht von alleine bilden wird: Alle wollen Geld verdienen.
Für den Leser bedeutet dieses Überangebot, dass wirklich gut recherchierte und inhaltlich aussagekräftige Artikel unter gehen. Hier setzen soziale Netzwerke als Verbreitungswerkzeuge oder Aggregatoren wie Commentarist ein. Ein gutes Netzwerk oder Dienst macht das was eigentlich die Verlage machen sollten: Nachrichten und Meinungen sortieren und in ihrer Wichtigkeit bewerten. Schon beim ersten abtreten von Rivva hab ich mich gewundert, dass da kein Verlag in die Bresche gesprungen ist. Solange die Verlage das nicht erkennen werden sie zum Klickviehtreiber verkommen und sich gegenseitig zerfleischen. Aber vielleicht hat das ja was gutes und es führt dazu, dass nur wenige überleben und sich wieder Qualität durchsetzen kann.
Ich stimme dir zwar zu, aber wer sagt, dass man mit einem objektiven Modell kein Geld verdienen kann? Wieso ist es nicht möglich, dass Menschen dafür Geld bezahlen? Ich kann diese Ausrede, dass man damit kein Geld verdienen kann, nicht mehr hören. Als ob nicht genug Volumen da wäre um dies in einem Testballon auszuprobieren.
Natürlich braucht dies Zeit und muss wachsen. Organisch am Besten. Deswegen ist mein Vorschlag auch ein Jahr um dem Projekt die Möglichkeit zu geben, zu wachsen. Wenn sich allerdings rumspricht, dass es ein solches Medium gibt, ist es die Frage, wie schwer es werden wird, daran vorbei zu kommen.
Es ist dieses „Geht nicht“, was mir auf den Zeiger geht. Niemand kann aber sagen „Wir haben es probiert, es funktioniert nicht“. Und eine Axel Springer oder Burda wird sich das wohl in ihrem Portfolio noch leisten können. Es müssen keine 30 Redakteure sein. Oder man macht es mit Praktikanten im Studium zum Austoben, ganz transparent. Es ist ja nur ein Gedanke… 🙂
Die Möglichkeiten des Paid-Content habe ich bewusst nicht betrachtet, weil mir das zu Komplex geworden wäre. Ich, für mich selbst, halte das durchaus für ein lohnenswertes Modell, solange es den Nutzer nicht abschreckt. Ich zahle zum Beispiel gerne meine 5€ in Flattr und klick auch gerne bei Verlagsangeboten, das ist leider nur nicht gerade bei vielen möglich (taz.de, derfreitag). Ich bin mir aber nicht sicher, ob das genug andere Leute auch so sehen. (Ich würde auch mehr Geld für ein solches System ausgeben, wenn ich sehen würde, dass es ein allgemein anerkanntes und verwendetes System ist.)
Das mit dem Durchhaltevermögen ist tatsächlich so eine Sache. Ich glaub, dass die Verlage einfach viel zu viel Panik haben um sich in Ruhe hinzusetzen und einfach was gewagtes aber durchdachtes zu machen. Dabei hätte gerade ein großer Verlag die Möglichkeiten dazu. Vorstellbar wäre zum Beispiel die klare Trennung zweier Portale: Eins macht News, das andere mach Hintergrundwissen und Analysen. Damit ließe sich eine Marke schaffen und man muss auf nichts verzichten. Zusätzlich noch ein Blognetzwerk für speziellere Themen: Techblogs, Boulevardgeläster, Modeblogs, … . Vielleicht auch eine Kooperation mit vorhandenem, ähnlich der Kolumne von Sascha Lobo auf Spiegel Online.
Ich denke es ist wichtig für einen Verlag, dem Leser Übersicht über die eigenen Angebote zu geben. Um sich selbst als Marke zu präsentieren und klare Angebote zu liefern. Am Beispiel des Axel Springer Verlags: Es gibt da die Bild und Welt, Boulevard und etwas seriöser. Dann gibt es aber noch das Online Portal der Berliner Morgenpost, mit Regionalität hat die Berliner Morgenpost aber nicht viel am Hut. Dazu kommt auch noch B.Z., Berliner Woche und Hamburger Abendblatt. Alle haben zum Teil gleiche/ähnliche Inhalte. Das Problem ist, dass das alles Online Portale zu den gedruckten Zeitungen sind. Da wurde in der Redaktion gesagt: „Wir brauchen Online“ und das ist daraus geworden.
Hätte sich der Verlag mal hingesetzt und geguckt was die Unterschiede zwischen Internet und Print sind, dann wäre da bestimmt etwas sinnvolleres bei heraus gekommen. Die Qualität wäre besser und es wäre sogar günstiger, weil nicht jede Zeitschriftenredaktion ihr eigenes Online Portal hätte aufbauen müssen.
Ein weiteres Beispiel: Ich habe mir mal eine kurze Zeit lang den Feed des Göttinger Tageblatt abonniert, dachte mir mal etwas lokales über die Stadt in der ich wohne lohnt sich bestimmt. Falsch gedacht, das einzige was ich bekommen hab ist ein riesiger unübersichtlicher Haufen an Infos über Lothar Matthäus Liebesleben. Würde ich das wissen wollen wäre ich zur Bild gegangen.